Da sich die sogenannten "Kinderporno-Sperren" langsam zum schweizer Offiziersmesser der Internet-Zensur mausern, finde ich die seit dem 22.4. ins Leben gerufene Online-Petition beim deutschen Bundestag besonders interessant. Ich finde Kindesmissbrauch in besonderem Maße schrecklich und verwerflich. Daher bin ich auch bereit dafür Einschränkungen hinzunehmen. Leider habe ich nicht den Eindruck, dass die geplanten Sperren irgendeinen Effekt in dieser Richtung haben. Wer echt solche Dinge dreht, der kann leicht über einen Proxi Zugriff auf die gesperrten Seiten bekommen (oder vielleicht reicht auch schon eine fest eingetragene Namensauflösung?).
Der einzige positive Effekt den die Sache am Anfang hatte war die gesellschaftliche Ächtung. Aber das ist jetzt auch schon wieder hinfällig. Ich würde mir wünschen, dass entschieden gegen die Anbieter solcher Seiten vorgegangen wird, aber da hört man irgendwie nichts drüber. Ich kann mich erinnern, dass es bei Heise mal das Angebot gab, dass man anonym solche gefundenen Seiten melden konnte. Das mussten die leider aus gesetzlichen Gründen einstellen. Ich habe vergessen was daran ungesetzlich war. Oder man dreht den Anbietern den Geldhahn ab. Ich wünsche mir Maßnahmen, die weiter vorne in der Kette ansetzen und damit die Risiken für die Schänder und die "Anbieter" erhöhen. Die Sperren setzen ganz am Ende der Kette an und dürften daher wenig bringen.
Was mich an der Sperrlösung alarmiert:
- Die Sperrliste ist nicht kontrollierbar. Ich befürchte, dass "unschuldige" Seiten leicht zu unrecht auf die Sperrliste kommen können. Und dann dürfte ein behördlicher Spießrutenlauf nötig werden bis die Sperrung aufgehoben wird. Ob dann aber immer der Verdacht bleibt, dass man vielleicht doch mal solche Abartigkeiten gehostet hat?
- Natürlich ist bekannt, dass sich viele Leute beim Webhoster einen Server teilen und ich nehmen an, dass die Sperren das berücksichtigen. Aber Fehler passieren da ja schon bei ganz anderen Dingen.
- Das BKA wird dadurch faktisch zu einer Zensurbehörde, die nicht von der Öffentlichkeit kontrolliert werden kann. Ja, die fehlende Kontrolle finde ich besonders erschreckend.
- Außerdem habe ich inzwischen schon von anderer Seite Zustimmungen gehört, weil man damit ja auch andere Inhalte sperren könnte, z.B. bei Verstößen gegen das Urheberrecht oder politische Randgruppen. Das wäre doch attraktiv.
- Außerdem habe ich schon gehört, dass die Zugriffe auf solche gesperrten Seiten protokolliert werden sollen (und wenn nicht vom BKA, dann vom Provider: 6 Monate müssen die solche Verbindungsinfos ja zukünftig ohnehin auf Vorrat speichern). Wer also über eine Spam-Mail eine solche gesperrte Seite ansurft oder eine versehentlich gesperrte Seite ansurft, der kann ganz schon Probleme bekommen. Was sagen wohl die Nachbarn, wenn die Polizei anrückt und den PC beschlagnahmt wegen Verdacht auf "Kinderpornoseiten ansurfens"? Wenn dann nach ein paar Monaten die Ermittlungen eingestellt werden, weil nichts dran war, dann dürfte es schon zu spät sein. Der zu unrecht Verdächtigte ist dann schon stigmatisiert.
Irgendwie erinnert mich das an die Diskussionen um die Wahlmaschinen: Die Fachwelt schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und steht ohnmächtig da, aber die Politiker feiern den Fortschritt. Wer sich über den aktuellen Stand der ePetition beim deutschen Bundestag informieren oder mitzeichnen will, der kann das hier machen. Aktueller Stand: 12245 Mitzeichner.
Update 5.5.2009 21:05 Uhr: Jetzt sind es schon 25569 Mitzeichner. Das ist ja schon fast Rekord. Es wundert mich nicht, dass die Serverantwortzeiten mies sind:
04.05.2009, 23:36h: 12245 Mitzeichner
05.05.2009, 21:05h: 25569 Mitzeichner
07.05.2009, 22:43h: 49131 Mitzeichner
11.05.2009, 21:37h: 72561 Mitzeichner
Update 1.6.2009: Nun waren es 104496 Mitzeichner. Robert weißt in seinem Kommentar darauf hin, dass sich bei einer Infratest-Umfrage im Auftrag der Kinderhilfe eine Mehrheit für das Verstecken der widerlichen Seiten fand. Möglicherweise war den Befragten nicht klar wie schnell sich diese Seiten komplett aus dem Netz nehmen lassen und welche Alternative es zum Sperren gibt. Meiner Ansicht nach wird mit dem Gesetz nur vertuscht, dass es solche Seiten gibt. Ich würde es begrüßen, wenn statt dessen die Polizei so ausgestattet würde, dass sie aktiv gegen diese Seiten vorgehen kann.
Update 9.6.2009: Das sieht offenbar die Mehrheit der Bevölkerung auch so, dann bei einer anderen Umfrage von Infratest kam genau das heraus: Besser wirksam bekämpfen anstelle zu sperren.
Hallo Thomas,
der Vollständigkeit halber wäre es sehr schön, wenn du darauf hinweisen würdest, dass im Gegensatz zur IT-Gemeinde sich viele Verbände (z.B. Deutscher Kinderschutzbund und UNICEF) nachdrücklich für die Sperren aussprechen (vgl. http://www.unicef.de/fileadmin/content_media/presse/090526/Gemeinsame-Stellungnahme_Presse-090526.pdf). Auch in der (bundesdeutschen) Bevölkerung gibt es eine deutliche Mehrheit (siehe http://www.heise.de/newsticker/Umfrage-92-Prozent-fuer-Internetsperren-gegen-Kinderpornographie–/meldung/138074) für die Sperren.
Gruß
Robert